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Hier findet Ihr Outtakes und entfallene Szenen aus dem „Hüter der Schatten“.

Los geht’s mit einer Szene, die ich nach der Veröffentlichung durch Zufall in meinem Trash-Ordner wiederfand. Warum sie dort gelandet ist, weiß ich selbst nicht so genau. Die Szene spielt ganz am Anfang des Buches und ist zeitlich zwischen Kapitel 2 und 3 einzuordnen.

Viel Spaß beim Lesen!

Hüter der Schatten – entfallene Szene 1

Larkin lehnte sich mit verschränkten Armen in seinem Stuhl zurück und beobachtete belustigt, wie Kian mit grimmiger Entschlossenheit die nächste Rübe in Angriff nahm.

Der Krieger war noch nicht zu viel in der Lage, ermüdete rasch und schlief viel – eine nicht zu vermeidende Folge der Heiltränke, die Larkin ihm verabreichte. Doch Kian war bereits auf dem Wege der Besserung, ein paar Wochen höchstens und er würde wieder auf den Beinen sein.

In der Zwischenzeit versuchte Larkin ihn mit kleineren Arbeiten bei Laune zu halten, denn auch wenn Kian sich niemals beklagte, so konnte Larkin ihm doch ansehen, dass ihm die erzwungene Untätigkeit ganz und gar nicht behagte.

Wenn er jedoch noch viel mehr Rüben in die Finger bekam, fürchtete Larkin, würde sein Vorrat kaum den ganzen Winter hindurch reichen.

Mit finsterem Gesicht starrte Kian die Wurzel in seiner Hand an und hielt das Messer, als wollte er dem unschuldigen Gemüse im nächsten Moment den Kopf abschlagen. Zweifellos eine angemessene Taktik auf dem Schlachtfeld, angesichts der mickrigen Rübe, der sich Kian gegenübersah, hatte Larkin jedoch seine liebe Mühe, bei dem Anblick nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.

„Wenn du so weitermachst, sitzen wir morgen noch hier“, bemerkte Larkin schließlich.

Kian warf ihm einen finsteren Blick zu. „Zeig es mir noch einmal.“

Mit einem Seufzen griff Larkin nach dem Messer und nahm eine frische Rübe aus der Schüssel, die zwischen ihnen auf dem Tisch stand. „Versuch es mit weniger Gewalt, du musst das arme Ding nicht gleich umbringen“, erklärte er geduldig, während er das Messer in raschen Zügen über die Wurzel zog.

„Bei dir sieht es so einfach aus“, murmelte Kian missmutig, bevor er Larkin wieder das Messer aus der Hand nahm.

Larkin lachte. „Das liegt daran, dass ich einfach mehr Übung darin habe als du. Warte nur, bis du heimkehrst. Dann werden sich selbst die königlichen Köche um deine Dienste reißen.“

Kian schnitt eine Grimasse, doch um seine Mundwinkel zuckte es verräterisch, bevor er sich rasch wieder seiner Arbeit zuwandte.

Larkin sah einen Moment zu, wie er sich abmühte und versuchte nicht allzu sehr über das warme Gefühl nachzudenken, das ihn bei Kians Anblick in letzter Zeit häufiger überkam. Mit einem Seufzen streckte er schließlich die Hand aus. „Nun gib schon her, bevor nichts mehr von den Rüben übrig ist.“

Doch Kian brachte seine Rübe rasch außer Reichweite und bedachte den Hexer mit einem entrüsteten Blick. „Such dir deine eigene Rübe, diese gehört mir.“

Larkin konnte Kian einen Augenblick lang nur sprachlos anstarren, bevor er mit einem Schmunzeln den Kopf schüttelte und sich eine Rübe aus der Schüssel nahm.

In Momenten wie diesem fühlte es sich an, als würden sie sich schon ein Leben lang kennen, Kians Gegenwart warm und vertraut. Vielleicht war es aber auch nicht anders zu erwarten gewesen, nachdem Kian sich am Anfang nicht einmal ohne Larkins Hilfe hatte erleichtern können. Da war nicht viel Raum gewesen für falsche Zurückhaltung.

Zudem war Kian ein angenehmer Zeitgenosse, der sich nicht darum zu scheren schien, wer Larkin war. Eine angenehme Abwechslung zu den endlosen Wintern, die Larkin seit dem Tod seiner Mutter immer allein hatte verbringen müssen.

„Ich habe mich nie um mein eigenes Essen kümmern müssen“, sagte Kian unvermittelt und riss Larkin jäh aus seinen Gedanken. Larkins Hände stockten mitten in der Bewegung, bevor sie weitaus bedächtiger als zuvor in ihrem Werk fortfuhren. Larkin hielt den Kopf gesenkt und versuchte sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Es kam selten genug vor, dass Kian über sich selbst sprach.

Kian lachte kurz, ein harter, freudloser Laut, den Blick starr auf das Messer in seiner Rechten gerichtet. „Selbst wenn ich mit meinen Männern unterwegs war, fand sich immer jemand, der sich bereitwillig um die Verpflegung gekümmert hat, sodass ich nicht einmal etwas so Schlichtes wie Rübenschaben zustande bringe.“

Ein Edelmann also, wenn er Bedienstete hatte, die für ihn das Essen bereiteten. Larkin hatte sich so etwas schon gedacht. Ein einfacher Mann hätte sich nie einen Waffenrock leisten können. So leise wie möglich schabte er die letzten Rüben, bevor er sie in dünne Scheiben schnitt.

„Ich hatte sechs Männer bei mir, allesamt erfahrene Krieger“, fuhr Kian mit tonloser Stimme fort, bei der Larkin unwillkürlich eine dunkle Vorahnung beschlich. „Zwei von ihnen hatten Frau und Kinder und ich habe Nevins Mutter versprochen …“ Ein schmerzhafter Ausdruck erschien auf Kians Zügen, der Larkin in seiner Arbeit innehalten ließ. „Bei allen Geistern“, flüsterte Kian mit brüchiger Stimme, den Blick ins Leere gerichtet, „ich habe sie alle in den Tod geführt.“

„Was ist geschehen?“, fragte Larkin, als Kian keine Anstalten machte weiterzusprechen.

Kian begann mit bedächtigen Bewegungen kleine Schnitze von der Rübe in seiner Hand zu schneiden. Er schien nicht einmal zu bemerken, was er tat, sein Blick immer noch unheimlich starr und leer.

„Wir hörten davon, dass ein Untier in den nördlichen Dörfern sein Unwesen trieb und mein …“ Kian stockte und seine Augen huschten für einen winzigen Augenblick zu Larkin. Es war nicht das erste Mal, dass Kian mitten im Wort stockte, als dürfe er nicht zu viel erzählen. Larkin hatte jedoch keine Ahnung, was es war, das Kian vor ihm verbarg.

„Der König schickte uns aus, der Sache auf den Grund zu gehen“, fuhr Kian rasch fort. „Es kommt selten vor, dass sich die Bestien aus den Drachenbergen bis in die Dörfer wagen und bislang konnten wir jedem von ihnen rasch den Garaus machen.“ Kian schloss mit einem Seufzen die Augen. „Als wir dort eintrafen, fanden wir heraus, dass es ein Greif war, der des Nachts das Vieh schlug und die Dörfer in Angst und Schrecken versetzte. Wir hatten schon öfter gegen Greifen gekämpft und wussten, worauf wir uns einließen.“

Larkin hielt den Atem an. Ein einzelner Greif, wenn auch ein ernstzunehmender Gegner, würde doch nicht viel gegen sieben bewaffnete und entschlossene Krieger ausrichten können, es sei denn …

„Es war ein Muttertier“, entfuhr es Larkin, ehe er die Worte zurückhalten konnte.

Kians Kopf fuhr in die Höhe und er sah Larkin mit durchdringendem Blick an, das Gesicht weiß wie ein Laken.

„Woher weißt du …?“

„Wie viele Junge hatte sie bei sich?“

Kian schluckte schwer. „Drei. Allesamt bereits flügge.“

Larkin spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Nichts konnte einer Greifenmutter entgegenstehen, wenn sie ihr Nest bedroht sah, und sie würde alles dafür tun, um ihre Brut zu schützen. Wenn sie dazu noch drei ewig hungrige, angriffslustige Jungtiere an ihrer Seite hatte, wären nicht einmal zwei Dutzend Männer ausreichend gewesen, um ihrem Zorn entgegenzustehen.

„Hattet ihr keinen Magier bei euch?“, fragte Larkin weiter.

Kian zog verwirrt die Stirn kraus. „Einen Magier?“

Larkin wedelte ungeduldig mit der Hand. „Zauberer, Hexer, nenn es, wie du willst. Sicherlich wird der König genügend Magier in seinen Diensten haben, dass seine Männer nicht ohne Schutz in den Kampf ziehen müssen, insbesondere nicht mit all den Kreaturen, die in den Bergen hausen.“

Larkin spürte Ärger in sich aufsteigen, als Kian nur noch blasser wurde und Larkins Blick mit sichtlichem Unbehagen auswich.

„Du willst mir nicht allen Ernstes weismachen, dass sieben Männer der königlichen Garde ohne Magier, ohne jeglichen magischen Schutz aufgebrochen sind, um sich einem Ungeheuer aus den Drachenbergen zu stellen! Du hattest nicht einmal einen Talisman bei dir! Was, wenn es ein Drache gewesen wäre?“ Er biss sich auf die Lippen, ob des Widersinns seiner eigenen Worte. Wenn es ein Drache gewesen wäre, wären Kians Männer genauso tot und Kian mit ihnen. Aber bei der Seele des Waldes, Larkin konnte einfach nicht verstehen, wie der König seine eigenen Männer ohne die Dienste eines erfahrenen Magiers ins Feld ziehen lassen konnte.

„Was hätte ein Talisman gegen einen Greifen ausrichten können?“, fragte Kian mit weit aufgerissenen Augen. Larkin entging nicht das leichte Zittern in Kians Händen und er zwang sich zu einem tiefen Atemzug, bevor er antwortete.

„Das kommt auf die Magie des Talismans an. Gegen eine Greifenmutter hätte dir vermutlich nur ein sehr mächtiges Amulett geholfen. Aber ich verstehe einfach nicht … sicherlich würde der König keinen Hauptmann seiner Garde ohne den geringsten magischen Schutz ziehen lassen. Nicht einmal deine Rüstung trug einen Schutzzauber!“

Kian starrte Larkin nur wortlos an. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt und eine steile Falte war zwischen seinen Augenbrauen erschienen, doch sein Gesicht war noch immer leichenblass.

„Und du hättest einen solchen Zauber wirken können?“, fragte Kian schließlich in die Stille hinein.

Larkin verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. „Natürlich. Meine Mutter brachte mir den ersten Schutzzauber bei, noch bevor ich meinen fünften Sommer gesehen hatte.“

„Und einen Talisman?“

Larkin zuckte mit den Schultern, angelte in seiner Tasche nach einer Münze und hielt sie kurz in seiner Handfläche, während er einen einzelnen Ton summte. Dann warf er Kian die Münze zu, der sie geschickt auffing.

„Was …?“

Larkin lächelte ein wenig verlegen. „Nichts weiter als ein einfacher Zauber, den jedes Kind beherrscht. Nun, jedes magiebegabte Kind. Hilft gegen schlechte Träume. Und um deine Frage zu beantworten. Ja, ich hätte dir und allen deinen Männern Talismane oder sogar Amulette fertigen können. Wenn mich nicht alles täuscht, sollte ich sogar noch einige hier irgendwo haben …“ Larkin stockte, als er die plötzliche Anspannung, die von Kian ausging, bemerkte.

Kian hatte die Hände flach auf den Tisch gepresst, die Zähne zusammengebissen und starrte auf die Münze, die Larkin ihm zugeworfen hatte. In seinem Kiefer zuckte ein Muskel und auf seinen blassen Wangen erschienen zwei rote Flecken, die sich langsam ausbreiteten.

„Kian?“, fragte Larkin und verfluchte sich im Stillen dafür, dass er Kian nicht schon viel früher zurück in sein Bett geholfen hatte. „Fühlst du dich nicht –“

„Heißt das, meine Männer könnten noch am Leben sein, wenn wir nur einen Talisman wie diesen hier“, Kian hielt die Münze hoch und Larkin wich unwillkürlich vor dem brennenden Blick zurück, den Kian ihm zuwarf, „bei uns gehabt hätten?“

Larkin tippte nervös mit den Fingerspitzen auf den Tisch. „Nun, ah, ihr hättet schon etwas Stärkeres gebraucht“, begann er vorsichtig, „und… ich bin nicht sicher wie stark die Magier bei Hofe sind, aber ich nehme an, nun, sicherlich wird der oberste Hofmagier wesentlich stärker sein als ich, sodass es für ihn ein leichtes gewesen wäre, aber …“ Er schluckte unter Kians ungeduldigem Blick. „Vielleicht hätte es einige von ihnen retten können.“ Er schlug die Augen nieder, als er daran dachte, dass seine Amulette vermutlich dafür gesorgt hätten, dass alle von Kians Männern überlebt hätten. Aber vielleicht tat er den Hofmagiern auch Unrecht, vielleicht waren sie mit wichtigeren Dingen beschäftigt, vielleicht hatte der König genügend Männer, dass er sie schutzlos in den Tod schicken konnte.

Nur zu deutlich standen ihm noch die Bilder vor Augen von Kians gebrochenem Leib und er schwor sich, dass er Kian nicht ohne den mächtigsten Schutzzauber, den er finden konnte, ziehen lassen würde.

„Ich fürchte, ich habe eine weitere Rübe getötet.“

Larkin hob den Kopf bei Kians kleinlautem Tonfall und konnte sich das Lächeln nicht verkneifen, als er das traurige Häufchen Rübenschnitzel bemerkte, das vor Kian auf dem Tisch lag.

„Nun, du kannst von Glück reden, dass ich dir nicht alle überlassen habe, sonst müsstest du jetzt hungern.“

Kian grinste schief. „Ah, aber du hättest sicherlich etwas anderes gefunden, mit dem du mich hättest mästen können.“

Larkin warf ihm als Strafe für sein freches Grinsen eine Rübenscheibe an den Kopf.

„Seht Euch vor, Hauptmann, Ihr solltet einen Hexer nicht reizen. Wer weiß, als was Ihr sonst eines Morgens aufwachen könntet.“

Kian hob beschwichtigend die Arme. „Ich bitte um Verzeihung, Hexenmeister. Doch wenn Ihr Euch mit dem Essen ein wenig beeilen könntet, wäre ich Euch sehr verbunden.“

Die zweite Rübenscheibe traf Kian mit Hilfe von ein wenig Magie direkt zwischen die Augen.