Wie schreibst du deine Romane? Planst du alles? Schreibst du einfach drauflos?
Diese und andere Fragen zum Schreiben werden mir relativ häufig gestellt. Die Antwort darauf ist gar nicht so einfach, deshalb dachte ich, ich nehme Euch einfach mal mit in meinen Arbeitsprozess hinein und zeige Euch, wie mein neuster Fantasy-Roman „Der Aschenbursche: Kinder des Vandros 1“ entstanden ist und was ich mir dabei so gedacht habe.
Tatsächlich ist es in der Regel so, dass ich sehr wenig plane, sondern die Geschichte einfach fließen lasse. Oft habe ich einige lose Szenen im Kopf, die sich dann langsam weiter entfalten, je intensiver ich mich mit ihnen beschäftige.
Ich setze mich jeden Tag einmal hin, um an meiner Geschichte zu arbeiten. Außer am Wochenende, da schreibe ich dann irgendwelche Geschichten nur für mich allein. Ansonsten habe ich es mir jeden Tag zur Gewohnheit gemacht, mich an den Schreibtisch zu setzen und an meiner aktuellen Geschichte weiterzuarbeiten – und wenn es nur fünf Minuten sind! Völlig egal. Hauptsache, ich schaue einmal kurz bei meinen Figuren herein und sage hallo.
Die erste Idee
Beim Aschenburschen war es so, dass ich die Idee für die Geschichte vor vielen Jahren hatte. Ich hatte einige Aschenputtel-Rewrites gelesen sowie einige andere Fantasy-Romane, die auf Märchen basierten, und wollte unbedingt auch einen Aschenputtel-Verschnitt schreiben. Damals war ich allerdings mit dem Hüter der Schatten beschäftigt, also habe ich nur grob die Kapitelgliederung, die ich im Kopf hatte, bzw. den Szenenablauf aufgeschrieben, sozusagen als Gedankenstütze, damit ich mich auch später noch daran erinnern könnte, was ich schreiben wollte.
Von der Idee zur ersten Textfassung
Sieben Jahre und sechs Buchveröffentlichungen später war es dann endlich soweit. Dank Gedankenstütze war die Geschichte so lebendig wie am ersten Tag und die perfekte Geschichte „für Zwischendurch“, eine kleine Geschichte, ehe ich mich dem nächsten größeren Fantasy-Epos zuwandte.
Tja.
Die Geschichte schrieb sich tatsächlich recht schnell, während ich noch mit den Korrekturen zu Die Weise der Feen beschäftigt war (inzwischen habe ich schon ein wenig Übung darin, mich jeden Tag hinzusetzen und ein paar Minuten zu schreiben). Die erste Fassung umfasste so ca. 33.000 Wörter (zum Vergleich: Die Endfassung des Aschenburschen hat über 94.000 Wörter, Die Weise der Feen hat ca. 90.000 Wörter) und ich wollte nur mal kurz noch ein paar Beschreibungen und Hintergrunddetails einfügen, um die Geschichte lebendiger zu machen. Das Ziel waren so 60.000 Wörter, ein kurzer 200-Seiten-Roman also.
Es kam, wie es kommen musste. Worldbuilding, neue Charaktere und schwupps, hatte ich den Kopf schon wieder voller Ideen für zwei weitere Teile. Das Charakterset und die Welt wurden so umfangreich, dass ich mir tatsächlich Notizen machen musste! Während der Fengard Chroniken habe ich alles noch mehr oder weniger im Kopf behalten, was mir dann beim letzten Band ein wenig zum Verhängnis wurde, weil ich dann doch Details vergessen hatte (oder die Notizzettel nicht mehr finden konnte).
Also, habe ich mich diesmal hingesetzt und zumindest grobe Notizen gemacht.
Unter anderem musste ich mir Nicholas‘ ausladende Familie verbildlichen. Beim ersten Familienessen ging es so laut her, dass ich völlig den Überblick verlor. War Onkel Ludwig jetzt der Bruder von Nicholas‘ Vater oder Nicholas‘ Großonkel? Angeheiratet oder blutsverwandt? Ich habe keine Ahnung, ob das in einem der nächsten Bücher noch einmal vorkommt, aber dieser wilde Stammbaum hat schon sehr viel Stress abgebaut
und bedeutete, dass ich eine Sache (oder in diesem Fall eine ganze Familie!) weniger im Kopf haben musste. Diesmal habe ich sogar eine Timeline erstellt. Als ich nämlich mit dem zweiten Band anfing (während Band 1 bei den Testlesern lag), begann mir das ganze schon wieder um die Ohren zu fliegen und ich wusste nicht genau, wer nun wie alt ist und welches Jahr überhaupt war. Hilfe! Also, Block wieder raus und loskritzeln und irgendwelche fiktiven Jahreszahlen erfinden, damit ich halbwegs errechnen kann, wer in welchem Buch wie alt ist. Alter zu errechnen fällt mir komischerweise irgendwie schwer.
Natürlich durfte auch, wie es sich für einen guten Fantasy-Roman gehört, eine Karte nicht fehlen.
Tatsächlich existieren auch von Fengard mehrere Karten, leider habe ich es nie geschafft, die Karten ins Reine zu zeichnen, wie ich eigentlich geplant hatte. Diesmal gibt es zumindest eine Karte des Landes, wenn auch die Stadtkarte von Arden und der Lageplan des Tempelgeländes noch fehlen. Man kann nicht alles haben.
Wie habe ich also das Worldbuilding und die Hintergrundgeschichten noch eingefügt?
Überarbeiten, überarbeiten, überarbeiten. Ich bin also mehrfach über den fertigen Text gegangen und habe mich gefragt, wo fehlen noch Details? Wo würde mein Mann wieder mehr Beschreibungen verlangen? Wo wische ich einfach nur über die Umgebung hinweg? Wo fasse ich zu viel zusammen? Ich halte mich beim Schreiben nur selten mit Details auf und ignoriere Dinge wie die Umgebung einfach, weil ich auf die Entwicklung der Charaktere fixiert bin. Erst danach habe ich den Freiraum, mich näher mit der Umgebung zu beschäftigen.
Ein wichtiger Grundsatz für mich ist dabei, erst mal darf alles aufs Papier. Wenn ich eine Idee habe, schreibe ich sie auf, selbst wenn sie nicht reinpasst oder ich nicht weiß, wo es damit hingeht. Und ja, auch während des Überarbeitens. Wenn ich das Gefühl habe, oh, hier muss ich noch was ergänzen oder ein Charakter an mir zupft und darum bittet, eine zusammengefasste Szene komplett zu erzählen, dann nehm ich mir die Zeit, um loszuschreiben und schaue dann, wie das Ganze wirkt. Kürzen kann ich später immer noch, aber jede Idee darf erst mal sein. Mein Text entwickelt sich also wie ein Bild: Von einer groben Skizze, die recht kurz ist und nur das Wesentliche enthält, bis zu einem fertigen Manuskript mit Hintergrundinformationen und Details. Das führte dann dazu, dass ich Kapitel 1, nachdem alles schon fertig und testgelesen war, noch einmal neu geschrieben habe. Das Kapitel war eins der wenigen, das noch aus der ersten Fassung übrig war, und es passte einfach nicht mehr in den Fluss der „neuen“ Geschichte hinein. Inzwischen hatte sich die ganze Welt und auch Leo als Charakter in eine andere Richtung entwickelt (und Mitternacht wollte gern ihr erstes Treffen mit Leo on-screen haben). Also, in den sauren Apfel beißen und alles noch einmal umschreiben und die Timeline anpassen. Bleh.
Mit dem Endergebnis bin ich allerdings sehr zufrieden und es fühlt sich stimmiger an.
Wenn ich solche grundlegenden Veränderungen vornehme, bei denen ich nicht weiß, ob ich am Ende alles nur „verschlimmbessere“, speichere ich erst einmal eine Version der Geschichte so, wie sie ist, und dann ändere ich wild drauflos. Notfalls kann ich immer noch die alte Version nehmen. Das entspannt bei wilden Änderungsaktionen doch sehr, weil ich nichts kaputtmachen kann.
Wie finde ich ein Ende für die Geschichte?
Manchen soll es ja unglaublich schwer fallen, vor einem weißen Blatt zu sitzen und einen Anfang zu finden. Ich habe meistens das gegenteilige Problem. Zu viele Ideen, zu viel, was ich noch erzählen könnte, zu viele Details! Zu viel, zu viel, zu viel. Woher soll ich wissen, wie es endet? Zumal viele Bücher, die ich gelesen habe, einfach nicht so endeten, wie ich mir das vorstellte und mich enttäuscht zurückließen.
Es gibt doch immer noch was zu erzählen! Dachte ich. Wie finde ich ein Ende? Unmöglich! Was dazu führte, dass ich es gar nicht erst versuchte, obwohl ich lustigerweise „das Ende“ oder den großen Showdown oder was auch immer oft schon recht früh im Kopf hatte. Mir brachen dann die vielen Details zwischendurch oder die „langweiligen“ Übergänge das Genick (erinnert sich irgendjemand an diese endlos lange Reise im zweiten Buch von Der Herr der Ringe?), sodass ich irgendwann die Lust verlor.
Für mich war der Schlüssel eine kontinuierliche Schreibroutine. Wenn ich tatsächlich kontinuierlich an einer Geschichte arbeite, irgendwann alles Wichtige gesagt ist. Natürlich gibt es noch Details, die ich hinzufügen könnte und es gibt auch immer mal Dinge, die ich im Nachhinein in meinen Fengard Chroniken anders geschrieben hätte. Aber ich hab es im Gefühl, wenn die Geschichte stimmig ist, wenn alles Wichtige gesagt ist, wenn es Zeit ist, weiterzuziehen. Dieses Gefühl ist nicht einfach so da und ich glaube auch nicht, dass es einfach Talent ist. Stattdessen vermute ich, dass es das Ergebnis von hunderten von gelesenen Romanen (sowohl unbefriedigenden als auch wirklich herausragend guten) und Dutzenden fertigen (und unfertigen) selbstgeschriebenen Geschichten ist. Erfahrung also. Mit der Erfahrung kommt das Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten, in die Geschichte und meine Charaktere selbst. Und wie schon gesagt, Kontinuität hilft auch ungemein. Und auch der Mut, es einfach zu versuchen, einfach was Dummes zu schreiben. Muss ja keiner lesen.
Plane ich also?
Nein. Eigentlich nicht wirklich. Ich habe am Anfang eine Idee im Kopf, vielleicht eine Szene, eine grobe Charakterskizze, irgendetwas, was mein Interesse weckt. Und dann lass ich los und versuche der Geschichte ihren eigenen Raum zu geben, sich zu entfalten. Dabei schreibe ich zunächst die Szenen oder Ideen auf, die ich klar im Kopf habe, der Rest kommt später. Das führt oft zu unerwarteten Wendungen und Entwicklungen der Figuren und überraschenden Charakteren, die vorher gar nicht geplant waren. So wie im wahren Leben auch.
„Keine Überraschung im Autor – keine Überraschung im Leser.“ ~ Robert Frost.
Dem kann ich nur zustimmen. Ich bin jedes Mal wieder neu überrascht, wo mich die Geschichte hinführt und welche Geschichten meine Charaktere letztendlich zu erzählen haben.
Nach einer fünfbändigen Reihe, die so in dem Umfang überhaupt nicht geplant war und die ich mehr oder weniger nur drauflos geschrieben habe, bemühe ich mich nun allerdings, mich während des Schreibens gelegentlich mal aus der Geschichte herauszureißen, um einige wichtige Dinge aufzuschreiben und kurz zu skizzieren. Wie einen Stammbaum oder eine Timeline. Oder die Augenfarbe der Charaktere (obwohl ich mich gerade schon wieder dabei erwischt habe, dass mein Charakter die Augenfarbe im Buch gewechselt hat, ups!). Fortschritt würde ich sagen.
Vielleicht finde ich diesmal schneller die Charakterdetails, wenn ich bei Band 3 angekommen bin.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.